Was sind Ratingverfahren?

Ban­ken sind für den Erfolg ihres Geschäfts­mo­dells und von Bank­auf­sich­ten ange­hal­ten ihre Kre­dit­ri­si­ken abzu­schät­zen und ent­spre­chend zu han­deln. Dies bedeu­tet  Rück­la­gen in Form eines Risi­ko­puf­fers anzu­le­gen sowie die Risi­ken ange­mes­sen zu beprei­sen. Um Kennt­nisse über die Risi­ken eines Kre­di­tes zu ermit­teln, wird in der Pra­xis ein soge­nann­tes Rating­ver­fah­ren verwendet.

Schaubild fur den Ablauf des Ratingverfahrens. Ein Kunde fragt einen Kredit bei einer Bank an, diese gibt die Kundendaten an eine Ratingagentur weiter. Die Ratingagentur bewertet die Bonität des Kunden und reicht diese Informationen an die Bank weiter, welche dann eine Entscheidung treffen kann.
Abbil­dung 1: Ablauf Ratingverfahren

Es geht hier­bei vor allem darum das Kre­dit­ri­siko und das Markt­ri­siko aus Kenn­zah­len (z.B. Bilanz­kenn­zah­len eines Kun­den) abzu­schät­zen und fol­gende Werte zu ermitteln:

  • Aus­fall­wahr­schein­lich­keit des Kun­den im nächs­ten Jahr (PD = Proba­bi­lity of Default)
  • Die erwar­tete Höhe der For­de­rung bei Aus­fall im nächs­ten Jahr (EAD = Expo­sure ADefault)
  • Der aus der For­de­rung erwar­tete, ver­blei­bende Aus­fall (LGD = expec­ted Loss at Given Default)

In einem Rating­mo­dell wird die logis­ti­sche Regres­sion und die Maxi­mum-Likeli­hood-Methode benutzt, um eine Pro­gnose der oben erwähn­ten Kri­te­rien für neue Kun­den basie­rend auf den Daten bestehen­der Kun­den zu ermit­teln. Somit kann der Kre­dit­aus­fall (LGD) mög­lichst gering gehal­ten werden.

Ein­füh­rung in die logis­ti­sche Regres­sion und Maximum-Likelihood-Methode

Die Wahr­schein­lich­keit P(y), dass ein Kre­dit­neh­mer sei­nen zukünf­ti­gen For­de­run­gen nicht nach­kommt, kann fol­gen­der logis­ti­scher Funk­tion beschrie­ben wer­den. Diese nimmt einen Wer­te­be­reich von [0,1] ein, wobei 0 einer garan­tier­ten Kre­di­ter­fül­lung und 1 einem garan­tier­ten Kre­dit­aus­fall entspricht:

Gleichung zur Berechung der Wahrscheinlichkeit P(y), dass ein Kreditnehmer seinen künftigen Forderungen nicht nachkommt.

Eine nor­male lineare Funk­tion, wie sie bei der linea­ren Regres­sion ver­wen­det wird, lie­fert einen Wer­te­be­reich von [-∞,+∞] und ist daher für den gege­be­nen Fall ungeeignet.

Die Opti­mie­rung des Modells an die Kun­den- und Markt­da­ten geschieht in der Regel mit der Maxi­mum-Likeli­hood-Methode. Diese berech­net die bedingte Wahr­schein­lich­keit, dass das Modell die Kun­den­da­ten hin­rei­chend genau beschreibt  (Verw. Bayes­si­sche Wahr­schein­lich­kei­ten). Hier­für muss die Wahr­schein­lich­keit, dass ein Kre­dit­neh­mer aus­fällt (yi = 1 für den Fall i), gege­ben einer belie­bi­gen Menge an Kenn­zah­len (xi), berech­net werden:

Gleichung für die Optimierung des Modells durch die Maximum Likelihood Methode

wobei die belie­bige Menge an Kenn­zah­len  im Para­me­ter­vek­tor a zusam­men­ge­fasst sind. Diese Kenn­zah­len beschrei­ben für die Ana­lyse zusam­men­ge­fasste Eigen­schaf­ten der Kun­den, wel­che rele­vant für das Kre­dit­ri­siko sind (siehe Tabelle).

Tabel­len­über­schrift

FallAus­fallKenn­zahl 1Kenn­zahl 2Kenn­zahl n
i
1023.191.13.8
21200.91.25
311510.9
::::::
::::::

Kenn­zah­len beschrei­ben gewisse für die Boni­tät rele­vante Eigen­schaf­ten. Diese kön­nen bei­spiels­weise das Ein­kom­men, der Wohn­ort oder das Alter der Per­son sein. In der Pra­xis wer­den auf­grund der Ein­fach­heit Kenn­zah­len die ähn­li­che Schwer­punkte beschrei­ben gerne zusammengefasst.

Im Zuge der Daten­an­pas­sung soll der Para­me­ter­vek­tor a’ gefun­den wer­den, wel­cher mit der logis­ti­schen Funk­tion die Aus­fall­wahr­schein­lich­kei­ten der Kun­den am bes­ten beschreibt. Hier­für muss die Likeli­hood-Funk­tion L(a) maxi­miert werden:

Gleichung für die Likelihood Funktion L(a)

wobei y die Aus­fall­wahr­schein­lich­keit und x die Kenn­zah­len aller Fälle zusam­men­ge­fasst dar­stel­len. In der Pra­xis wird auf­grund der ein­fa­che­ren Bere­chen­bar­keit der natür­li­che Log­arith­mus der Likeli­hood-Funk­tion (log-Likeli­hood) maxi­miert. Die­ser ergibt das­selbe Ergeb­nis a‘, da die ln-Funk­tion streng mono­ton stei­gend ist. Mit der Annahme, dass die Daten alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen für den Fall y ent­hal­ten und nach eini­gen Umfor­mungs­schrit­ten (Verw. auf Her­lei­tung) ergibt sich die Formel:

Gleichung für die Maximierung des Logarithmus der Likelihood Funktion

mit:

Gleichung für die Beschreibung von Delta i von a als Summe

und:

Gleichung für die Wahrscheinlichkeit Pi(a)

(log. Funk­tion). Aus die­ser For­mel lässt sich der­je­nige Para­me­ter­vek­tor a’ bestim­men, wel­cher die Likeli­hood-Funk­tion maxi­miert und somit die Kun­den­da­ten am bes­ten beschreibt.

Die­ser Para­me­ter­vek­tor wird nun für die Ermitt­lung der Aus­fall­wahr­schein­lickei­ten zukünf­ti­ger Kun­den­da­ten in ein Rating­mo­dell imple­men­tiert. Die­ses wird im fol­gen­den Abschnitt näher beschrieben.

Prak­ti­sche Umset­zung und Imple­men­tie­rung eines Ratingmodells

Die Ent­wick­lung und Imple­men­tie­rung eines Rating­ver­fah­rens lässt sich grob in fol­gende Abschnitte unterteilen:

  1. Aus­wahl der Kundendaten
  2. Erstel­lung von Kenn­zah­len und Scoringfunktionen
  3. Durch­füh­rung der Maxi­mum-Likeli­hood Methode
  4. Zutei­lung der Aus­fall­wahr­schein­lich­kei­ten zu ver­schie­de­nen Ratingklassen
  5. Ent­wick­lung einer Endnutzersoftware 

1. Für die Imple­men­tie­rung eines Rating­ver­fah­rens in der Pra­xis ist es zunächst erfor­der­lich, nur die für den Kre­dit­aus­fall rele­van­ten Kun­den­da­ten zu nut­zen und diese dann mit der erfor­der­li­chen Qua­li­tät in einer ein­heit­li­chen Daten­ba­sis abzu­le­gen. Das Daten­bank­mo­dell sollte hier­bei ent­spre­chend der Anfor­de­run­gen an die Ana­lyse, Nut­zung, etc. gewählt wer­den. Die rele­van­ten Kun­den­da­ten wer­den in der Regel durch Abschät­zun­gen von Experten oder durch die Berech­nung kau­sa­ler Rele­vanz ermit­telt. Wich­tig ist hier­bei vor allem, die Kor­re­la­tion der ein­zel­nen Kun­den­da­ten mög­lichst gering zu hal­ten, um das Modell nicht unnö­tig zu ver­kom­pli­zie­ren und die Abschät­zungs­feh­ler zu mini­mie­ren. Wei­ter­hin soll­ten die Kun­den­da­ten so gewählt wer­den, dass es zu kei­ner sys­te­ma­ti­schen Ver­zer­rung kommt. Dies kann erreicht wer­den indem z.B. Kun­den­da­ten aus vie­len ver­schie­de­nen Regio­nen betrach­tet wer­den sowie ein ange­mes­se­nes Ver­hält­nis zwi­schen ein­ge­trof­fe­nen und nicht ein­ge­trof­fe­nen Kre­dit­aus­fäl­len aus­ge­wählt wird.

2. Die rei­nen Kun­den­da­ten wer­den dann in einem wei­te­ren Schritt in Kenn­zah­len aus­ge­drückt bzw. zusam­men­ge­fasst (siehe Scoring­funk­tio­nen), wel­che jeweils einen Infor­ma­ti­ons­be­reich abde­cken. Diese wer­den dann für die Erstel­lung des Modells genutzt. Es ist hier­bei wich­tig, das Modell nicht zu kom­pli­ziert zu gestal­ten, d.h. zu viele Kenn­zah­len zu ver­wen­den, da es ansons­ten zu einem ‚Over­fit­ting‘ kommt. Wer­den Modelle zu kom­plex, nei­gen sie dazu die Trai­nings­da­ten sehr gut, aber neue Daten sehr schlecht zu beschrei­ben. Auf der ande­ren Seite soll­ten Modelle auch mög­lichst viele ver­schie­dene Berei­che abde­cken, um gute Aus­sa­gen lie­fern zu kön­nen (Opti­mie­rungs­pro­blem).

3. Im nächs­ten Schritt wird ein Teil von Kun­den­da­ten für die Opti­mie­rung des Regres­si­ons­mo­dels ver­wen­det (Trai­nings­da­ten). Zur Vali­die­rung des Modells wird es im Anschluss an dem rest­li­chen Pool von Kun­den­da­ten, wel­cher nicht für die Erstel­lung des Modells genutzt wurde, getes­tet. Hier­bei ergibt sich auch eine Abschät­zung des Modellfehlers.

4. Mit dem Modell kön­nen nun Aus­falls­wahr­schein­lich­kei­ten zukünf­ti­ger Kun­den berech­net wer­den. In der Pra­xis wer­den die Aus­falls­wahr­schein­lich­kei­ten ver­schie­de­nen Rating­klas­sen zuge­teilt, wel­che dann an ver­schie­dene Kos­ten­mo­delle für die Kre­dite geknüpft sind.

5. In der fina­len Phase der Ent­wick­lung eines Rating­mo­dells, wird die Berech­nungs­grund­lage in eine Soft­ware imple­men­tiert, wel­che dann von den Bank­an­ge­stell­ten für die Ermitt­lung der Rating­klasse eines Kun­den genutzt wer­den kann. Hier­bei sind in der Regel auch Schu­lun­gen not­wen­dig, um den rich­ti­gen Gebrauch des Rating­mo­dells sicherzustellen.

Fazit

Rating­mo­delle sind wich­tige Werk­zeuge für Ban­ken und Ver­si­che­run­gen, um den Erfolg ihres Geschäfts­mo­dells zu garan­tie­ren und Ver­luste zu mini­mie­ren. Die Ein­zel­hei­ten der Ent­wick­lung und Imple­men­tie­rung eines Rating­mo­dells sind in der Pra­xis sehr auf­wän­dig und kom­pli­ziert. Es erfor­dert eine große Menge an inter­dis­zi­pli­nä­rer Zusam­men­ar­beit zwi­schen ver­schie­de­nen Unter­neh­mens­be­rei­chen. Zum einen soll das Modell so imple­men­tiert sein, dass es sowohl die Kun­den- und Markt­da­ten sinn­voll und effi­zi­ent nut­zen kann und akku­rate Abschät­zun­gen lie­fert. Zum Ande­ren muss die nötige Ska­lier­bar­keit auf Model­lie­rungs- und Hard­ware­ebene gege­ben, als auch vom End­be­nut­zer ver­ständ­lich zu nut­zen sein. Wei­ter­hin sollte das Modell auch kon­ti­nu­ier­lich gewar­tet und aktu­ell gehal­ten wer­den, damit die aktu­elle Mark­si­tua­tion akku­rat abge­bil­det wird. Damit sind die Ban­ken in der Lage Kre­dit­ri­si­ken ein­zu­pla­nen und sich an die gesetz­li­chen Vor­ga­ben zu halten.